1950 bis 1960 – Internationalisierung und Massenproduktion im Wirtschaftswunder
Das Volkswagen Werk galt schon den Zeitgenossen als Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders. Ebenso wie der Käfer fuhr das Unternehmen auf der Erfolgsbahn. Die Kapazität der Fabrik und die 1954 eingeleitete Rationalisierungsoffensive schufen die produktionstechnischen Voraussetzungen, die Volkswagen Limousine und den Transporter in Großserie zu bauen. Doch erst durch die Verbindung von Massenfertigung, Weltmarktorientierung und Belegschaftsintegration formte Volkswagen die langfristig wirksame Wachstumsstrategie. 1950 führte das Wolfsburger Unternehmen ein Drittel seiner Fahrzeugproduktion in 18 vorwiegend europäische Staaten aus; Hauptabnahmeländer waren Schweden, Belgien, die Niederlande und die Schweiz. Mit dem erstmaligen Export von 1.253 Fahrzeugen nach Brasilien setzte Volkswagen einen zweiten Schwerpunkt in Südamerika, wo die Einfuhr US-amerikanischer Fahrzeuge wegen knapper Dollarreserven fast vollständig zum Erliegen gekommen war. Der Belieferung dieses zukunftsträchtigen Absatzmarktes räumte das Unternehmen frühzeitig Priorität ein.
Der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas und die Industrialisierungsbestrebungen vieler außereuropäischer Länder schufen für den Volkswagen Export eine günstige Ausgangssituation. Als Vorteil für das Volkswagen Werk entpuppte sich, dass der internationale Warenverkehr größtenteils auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen abgewickelt wurde. Die Dollarlücke in den meisten Staaten schwächte vorübergehend die Konkurrenz der US-amerikanischen Automobilfirmen ab, während die Exportmöglichkeiten der deutschen Wettbewerber durch deren geringe Produktionskapazitäten beschnitten wurden. Als öffentliches Unternehmen konnte die Volkswagenwerk GmbH zudem auf größeres Entgegenkommen der Bundesregierung hoffen, die durch den Abschluss von Handelsverträgen Exportmöglichkeiten für die deutsche Industrie eröffnete. Mit einem Anteil von bis zu 50 Prozent an der gesamten Automobilausfuhr war das Volkswagen Werk in den 1950er Jahren wichtigster Devisenbringer und führender deutscher Automobilexporteur.
Der systematische Aufbau des Exportgeschäfts in der ersten Hälfte der 1950er Jahre verlief keineswegs reibungs- und risikolos. Den Investitionen standen zunächst schmale Gewinne gegenüber, weil die Volkswagenwerk GmbH bei der Preiskalkulation die Etablierung seiner Produkte auf den internationalen Märkten im Auge hatte und nahe am Selbstkostenpreis exportierte. In Brasilien geriet die Errichtung einer Produktionsstätte infolge der politischen und wirtschaftlichen Instabilität mehrfach ins Stocken. Ähnlich schwierig gestaltete sich der Aufbau einer Absatzorganisation auf dem US-Markt. Denn die erfolgreichen Automobilhändler waren hier an die amerikanischen Automobilkonzerne gebunden, und die üblichen Händlerrabatte von 30 Prozent erschwerten wettbewerbsfähige Preise.
Trotz solcher Probleme gelang Volkswagen bis Mitte der 1950er Jahre der Durchbruch in Europa, Amerika und Afrika. Dafür sorgten einerseits die technischen Merkmale, die Qualitätsstandards und die stetige Perfektionierung der Limousine. Auf den internationalen Märkten genoss der Käfer den Ruf eines wirtschaftlichen und zuverlässigen Fahrzeugs, das sich wegen des relativ geringen Kraftstoffverbrauchs und der robusten Konstruktion auch für automobile Entwicklungsländer mit dürftiger Verkehrsinfrastruktur bestens eignete. Andererseits ging die Volkswagenwerk GmbH bei der Erschließung neuer Absatzmärkte behutsam vor, indem es das Produkt mit einem Vertriebs- und Servicenetz umspannte. Nach Auffassung der Unternehmensleitung bestand nur dann Aussicht auf dauerhaften Erfolg, wenn hinter dem Wagen eine dichte, mit Ersatzteilen, Spezialwerkzeugen und sorgfältig geschultem Personal ausgestattete Organisation stand. Der ausgezeichnete Ruf des Kundendienstes war bald ein wichtiger Trumpf im internationalen Konkurrenzkampf. Volkswagen verlangte seinen Händlern hohe Investitionen ab, um eine kompetente Kundenbetreuung sicherzustellen. Auf den strategisch wichtigen Märkten in Kanada und in den USA nahm die Volkswagenwerk GmbH den Aufbau des Vertriebssystems selbst in die Hand; in Brasilien, Südafrika und Australien wurden Produktionsstätten errichtet. Damit vollzog der Wolfsburger Automobilhersteller die frühzeitige Internationalisierung des Unternehmens und legte den Grundstein zu einem weltweiten Fertigungsverbund.
Den größten Triumph feierte Volkswagen in heimischen Gefilden, wo die Limousine in den 1950er Jahren zum Signum des Wirtschaftswunders aufstieg. Der Traum vom Volksauto, der sich durch die neue, um 1900 anbrechende Technikepoche zog und von den Nazis politisch instrumentalisiert worden war, erfüllte sich im Zuge einer späten wie rasanten Motorisierung. Die Volkswagen Limousine war in dieser Dekade der meistgekaufte Personenwagen und hielt einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Technik und Design verschafften ihm den Nimbus eines klassenlosen Autos, der dem Selbstverständnis der erwachenden Konsumgesellschaft entsprach und in dem sich der Funktionswandel des Automobils vom Luxusgegenstand zum Konsumgut für breite Bevölkerungsschichten widerspiegelte. Nicht minder erfolgreich war der seit 1950 gebaute Transporter, der den Markt der Kombinations- und Lieferfahrzeuge mit einem Anteil um 30 Prozent dominierte. Gleichwohl waren die Absatzmöglichkeiten der Volkswagenwerk GmbH auf dem Binnenmarkt begrenzt. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre sorgte vor allem der Nachholbedarf des Gewerbes für stetige Verkaufssteigerungen, während der Kreis der Privatkunden nur allmählich wuchs. Für die Mehrzahl der automobilbegeisterten Bundesbürger blieb der Käfer trotz steigender Einkommen ein sehnlicher, aber noch nicht finanzierbarer Wunsch. Individuelle Mobilität brachte zunächst vor allem das Motorrad, und erst 1955 überholten die Zulassungszahlen fabrikneuer Pkw die der Zweiräder. Die 1954 intensivierte Umstellung der Fertigung auf eine fordistische Massenproduktion erschien sinnvoll, weil der internationale Erfolg der Volkswagen Limousine frühzeitig die Beschränkungen des heimischen Marktes aufhob. Die Automatisierung der Fabrikation stellte Kapazitäten sicher, mit denen Volkswagen die einmal besetzten Bastionen auf dem Weltmarkt halten und den 1954 einsetzenden Nachfrageboom in den USA befriedigen konnte.
Am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens partizipierte die Belegschaft mit hohen Löhnen und einem Bündel freiwilliger Sozialleistungen, was im allgemein wirtschaftsfriedlichen Klima der 1950er Jahre zur Herausbildung kooperativer Arbeitsbeziehungen beitrug. Die Verteilungsspielräume waren groß; Betriebsrat und Unternehmensleitung zogen an einem Strang, um die Fluktuation der Beschäftigten und den Facharbeitermangel in den Griff zu bekommen. Durch eine großzügige Tarif- und Sozialpolitik sorgten sie dafür, dass allmählich eine Stammbelegschaft heranwuchs, die sich der Volkswagen Familie zugehörig fühlte. Mit seinen Haustarifverträgen rangierte das Unternehmen Volkswagen an der Spitze der deutschen Automobilindustrie und fungierte über die Branchengrenzen hinweg als Schrittmacher. Die Erfolgsbeteiligung der Beschäftigten passte weder den Arbeitgeberverbänden noch fand sie den Beifall der Bundesregierung, die durch einen Lohnschub ihre Bemühungen um Preisstabilität gefährdet sah. Die zurückhaltende öffentliche Verwaltung und die vorzüglichen Bilanzen der Volkswagenwerk GmbH gaben jedoch dem Management viel Handlungsspielraum, um in der Tarif- wie in der Arbeitszeitpolitik einen eigenständigen Kurs zu steuern. Im Oktober 1955 verständigten sich Betriebsrat, IG Metall und Unternehmensleitung auf eine zweistufige Arbeitszeitverkürzung, die 1957 für das Gros der Beschäftigten die 40-Stunden-Woche brachte.
Dissonanzen zwischen Management und Bundesregierung klangen in der Privatisierungsfrage an, die ab Sommer 1956 im Bundestag verhandelt wurde. Seitens der Unternehmensleitung bestand kein unmittelbares Bedürfnis, das erfolgreiche Unternehmen in eine neue Rechtsform zu überführen. Betriebsrat und Belegschaft hingegen fürchteten um die tariflichen und sozialpolitischen Errungenschaften und machten gegen die Privatisierungsabsichten Front, hierbei unterstützt durch die SPD-Opposition, die im Bundestag gegen den Ausverkauf des Bundesvermögens ihre Stimme erhob. Dem Management von Volkswagen war indes klar, dass mittelfristig kein Weg an einer Privatisierung des wichtigsten deutschen Automobilherstellers vorbeiführte. Denn die Volkswagenwerk GmbH war ein gleichsam herrenloses Unternehmen, das vom Land Niedersachsen im Namen und nach den Weisungen der Bundesregierung verwaltet wurde. Im Übrigen ließ sich die öffentliche Treuhänderschaft nicht mit den marktliberalen ordnungspolitischen Grundsätzen der CDU-geführten Regierungskoalition in Einklang bringen.
Zwischen Bundesregierung und Unternehmensleitung herrschte weitgehend Konsens darüber, die Volkswagen Aktie durch breite Streuung zu einer Volksaktie zu machen und die Konzentration größerer Aktienmengen zu verhindern. Das vorgesehene Grundkapital von 600 Millionen DM hingegen provozierte Widerspruch. Mit Blick auf die künftig notwendigen Investitionen votierte Heinrich Nordhoff für eine Halbierung des Aktienkapitals, konnte sich jedoch mit seiner betrieblich motivierten Position nicht durchsetzen. Die Volkswagenwerk AG, die am 22. August 1960 ins Handelsregister eingetragen wurde, behielt auch nach der Privatisierung ihre positive Geschäftsentwicklung bei. Nicht das hohe Aktienkapital, sondern Massenproduktion und Modellpolitik stellten Volkswagen in den 1960er Jahren vor ernsthafte Probleme.