1973 bis 1981 – Der Umstieg zur Modellpalette mit wassergekühlten Motoren
Die neue Fahrzeuggeneration kam rechtzeitig. Sie führte die Volkswagenwerk AG aus der tiefen Krise, die sich 1974/75 infolge des Ölpreisschocks und der weltweiten Rezession einstellte und die Liquidität des Unternehmens akut bedrohte. Die gute Resonanz auf den Passat und die Verkaufserfolge des Golf, der seit 1975 die deutsche Zulassungsstatistik anführte und die Klasse der Kompaktfahrzeuge begründete, federten den allgemeinen Nachfragerückgang auf dem Binnenmarkt ab. Während die übrigen Hersteller Absatzeinbußen von bis zu 40 Prozent verzeichneten, konnte Volkswagen seine Verkaufszahlen 1975 auf Vorjahresniveau stabilisieren. Die finanziellen Verluste entstanden hauptsächlich durch rückläufige Exporte nach Europa und Nordamerika. Auch in Südafrika und Mexiko verschlechterte sich trotz führender Marktposition die Ertragslage, weil die inflationsbedingte Kostenexplosion und die Auswirkungen der Wechselkursentwicklung durch Preiserhöhungen nicht kompensiert werden konnten. Der Absatzrückgang auf den Exportmärkten ergab in den inländischen Werken Überkapazitäten, deren Auslastung 1975 bei 61 Prozent lag. Die Anpassung der Produktion an den Verkauf erforderte einen umfangreichen Belegschaftsabbau, der nach anfänglichen Konflikten zwischen Gesamtbetriebsrat und Unternehmensleitung einvernehmlich und sozialverträglich erfolgte. 1976 steigerte die Volkswagenwerk AG ihren Absatz wieder um gut 15 Prozent; der Volkswagen Konzern hatte die Krise überwunden.
Die Einführung von vier neuen Modellreihen innerhalb weniger Jahre ging mit tief greifenden Veränderungen des Fertigungsprozesses einher. Um den traditionell hohen Mechanisierungsgrad der Produktion auf die von Modellvielfalt geprägte Angebotspalette zu übertragen, bedurfte es innovativer technischer und organisatorischer Fertigungssysteme. Hierfür legte das Unternehmen ein Investitionsprogramm von 2,5 Milliarden DM auf, mit dem zwischen 1972 und 1975 die produktionstechnische Basis für die neue Produktpalette geschaffen wurde. Den Fahrzeugbau in den Werken Wolfsburg und Emden stellte Volkswagen 1973 auf Hängeband-Montage um, wodurch sich die Flexibilität der Produktion erhöhte und die Montagebedingungen verbesserten. Erhebliche Rationalisierungserträge ergaben sich aus dem EDV-Einsatz beispielsweise im Presswerk, wo die Fertigung von zentraler Stelle aus gesteuert und überwacht werden konnte. Im Aggregatebau schränkte das Unternehmen die Herstellung luftgekühlter Motoren ein, während die Produktionskapazität für die wassergekühlten Motoren ausgebaut und neue Motoren mit den entsprechenden Schalt- und Automatikgetrieben ins Programm aufgenommen wurden. Schrittweise schuf die Volkswagenwerk AG die Voraussetzungen zur Umsetzung des Baukastenprinzips, das die Verwendung gleicher Bauteile für verschiedene Konzernmodelle mit weitgehend identischer Fahrzeugtechnik erlaubte. Der Passat war eng an den Audi 80 angelehnt, der Polo ging aus dem baugleichen Audi 50 hervor. Das Baukastensystem war ein elementarer Bestandteil des neuen Fertigungskonzepts, um die langfristige Rentabilität des Unternehmens sicherzustellen.
Nach Beendigung der ersten Rationalisierungsphase konzentrierte sich Volkswagen auf die Steigerung seiner Exporte insbesondere in die USA, wo der Abwärtstrend anhielt. Zwischen 1973 und 1976 fiel der Absatz der Volkswagen of America von 540.364 auf 238.167 Fahrzeuge; der Marktanteil halbierte sich auf 2,3 Prozent. Um den preisbedingten Wettbewerbsnachteilen zu entgehen, die aus der ungünstigen Wechselkursrelation und dem hohen Produktionskostenniveau in der Bundesrepublik Deutschland resultierten, hatte die Unternehmensleitung bereits 1973 über die Errichtung einer Produktionsstätte in Amerika nachgedacht. Gegen dieses Projekt sprach vor allem die Festlegung auf ein Modell und damit die hohe Produktabhängigkeit auf einem wettbewerbsintensiven Markt, während die diskutierte Alternative, den Produktionsstandort Mexiko auszubauen und die USA von dort aus zu beliefern, um das Produktimage fürchten ließ. Doch der Absatzrückgang und die finanziellen Verluste aus dem Exportgeschäft verhalfen schließlich der Überzeugung zum Durchbruch, dass die wichtigste Exportbastion nur durch eine Produktion vor Ort gehalten werden konnte. Zudem erleichterte der fulminante Start des Golf die im Juni 1976 getroffene Entscheidung, den Rabbit, die amerikanische Golf Version, in den USA zu bauen. Das Werk Westmoreland nahm im April 1978 die Fertigung für den nordamerikanischen Markt auf, wo im Vorjahr die Volkswagen of America mit einem Absatzplus von 22 Prozent eine Trendwende herbeigeführt hatte. Selbst die 1980 einsetzende weltwirtschaftliche Rezession und die massive Konkurrenz der japanischen Hersteller, die den Weltmarktanteil der US-Automobilkonzerne innerhalb eines Jahrzehnts erheblich schrumpfen ließen, wirkten sich auf die Verkaufszahlen zunächst nicht negativ aus. Nach einer Absatzsteigerung von 13 Prozent im Jahr 1979 verzeichnete die US-Tochter im Folgejahr einen weiteren Anstieg von rund 337.000 auf 368.000 verkaufte Volkswagen und Audi Modelle. Sie profitierte dabei von den drastisch gestiegenen Mineralölpreisen, die eine wachsende Nachfrage nach verbrauchsgünstigen Fahrzeugen auslösten.
Zur Stabilisierung seiner Position in Südamerika übernahm Volkswagen 1979 die brasilianische und 1980 die argentinische Tochter des finanziell angeschlagenen Chrysler-Konzerns. Mit Umstrukturierung der Chrysler Motors do Brasil Ltda. zu einem reinen Lkw-Hersteller erhielt zugleich der internationale Lieferverbund auf dem Nutzfahrzeugsektor neue Impulse. Volkswagen engagierte sich damit verstärkt in einem Segment, das 1977 durch die Kooperation mit der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG (M.A.N.) erschlossen worden war. Schritt um Schritt erweiterte Volkswagen nach 1975 das Nutzfahrzeugangebot und schuf hier eine ähnliche Modellvielfalt wie bei den Pkw. Neben dem klassischen Transporter umfasste die Palette den LT, die gemeinsam mit M.A.N. entwickelte leichte Lkw-Baureihe sowie die von März 1981 an in Brasilien gebauten Lastkraftwagen. Der Produktionsanlauf der 11- und 13-Tonnen-Lkws bei der Volkswagen Caminhões Ltda. fiel indes mit einer dramatischen Verschlechterung der Lage der südamerikanischen Wirtschaft zusammen. Jährliche Inflationsraten von weit über 100 Prozent und die restriktive Geld- und Importpolitik der Regierungen führten 1981 in Brasilien und Argentinien zu einem Absatzeinbruch bei den Pkw. Die Auslieferungen der Volkswagen do Brasil lagen 35 Prozent unter dem Vorjahresvolumen. Bei der Volkswagen Argentina S.A., die Ende des Jahres zur Montage des Transporters aus brasilianischen Teilesätzen überging, sank der Fahrzeugverkauf um ein Drittel. Auch bei der Volkswagen of America kippte 1981 die Absatzentwicklung; im Jahr darauf brachen die Verkäufe um 40 Prozent ein, was teils auf die Weltwirtschaftskrise und teils auf die japanische Konkurrenz zurückzuführen war. Das 1982 fertig gestellte zweite Montagewerk in Sterling Heights ging nicht mehr in Betrieb und wurde 1983 verkauft.
Auf dem heimischen Markt flachte die Nachfrage im Sog der zweiten Ölkrise vor allem im Segment der oberen Mittelklasse ab. Während Audi 1980 Verkaufseinbußen hinnehmen musste, profitierte Volkswagen von der Nachfrageverschiebung hin zu den sparsamen Modellen. Golf, Golf Diesel und der neue Passat bewährten sich auf einem schrumpfenden Markt, sodass der Volkswagen Konzern seinen Marktanteil von knapp 30 Prozent halten konnte. Größere Besorgnis als die unsichere Energiesituation erregte denn auch die Expansionsstrategie der japanischen Fahrzeugindustrie, die inzwischen mehr als ein Fünftel der Weltautomobilproduktion stellte und sowohl in Amerika als auch in Europa Marktanteile hinzugewann. Dieser Erfolg beruhte auf einem flexiblen Fertigungssystem mit geringer Tiefe, das die Herstellung preisgünstiger Modelle und eine schnelle Anpassung der Produktion an veränderte Kundenbedürfnisse ermöglichte. Bislang hatte sich Volkswagen gegenüber der fernöstlichen Konkurrenz gut behauptet, weil das technologische Konzept der Fahrzeuge, die Produktqualität, die Vertriebs- und Kundendienstorganisation sowie der hohe Wiederverkaufswert den Preisnachteil ausglichen. Die 1980 von den USA nach Europa umgelenkte Exportoffensive der japanischen Hersteller verschärfte jedoch den Wettbewerb, der an der Preisfront nicht zu gewinnen war. Die Strategie des Volkswagen Konzerns konzentrierte sich deshalb darauf, den technischen Vorsprung der Fahrzeuge zu sichern und die Flexibilität des Produktionssystems zu erhöhen, um die Stückzahlen, Modelle und Ausstattungen der zunehmend differenzierten Nachfrage anzupassen.
Von 1979 bis 1982 investierte die Volkswagenwerk AG für den Inlandsbereich rund 10 Milliarden DM, die in erster Linie in die Weiterentwicklung energiesparender und umweltfreundlicher Modelle sowie in die Rationalisierung der Fertigung flossen. Der Einsatz mikroelektronisch gesteuerter Industrieroboter, typenunabhängiger Mehrzweckmaschinen und variabler Transportsysteme kennzeichnete die Automatisierungsphase. Mit neuen Steuerungssystemen konnten im Karosseriebau, in der Lackiererei und der Endmontage jedes Fahrzeug als Einzelauftrag behandelt und gemäß den individuellen Kundenpräferenzen gefertigt werden. Ein von Computern gesteuerter Materialfluss und Hochregallager mit fahrerlosen Systemen verhalfen der Materialwirtschaft zu mehr Effizienz. Im Karosseriebau wurde 1981 die typengebundene Mechanisierung auf programmierbare Handhabungsautomaten umgestellt. Den Höhepunkt dieser Modernisierungsmaßnahmen bildete die erste voll automatisierte Montagelinie im Automobilbau, die in der Halle 54 des Wolfsburger Werks in Betrieb genommen wurde.
Gestärkt für den verschärften Wettbewerb, schlug der Volkswagen Konzern einen expansiven Kurs ein. Denn bei den begrenzten Wachstumsmöglichkeiten auf dem heimischen Markt hing die langfristige Existenzsicherung davon ab, die Expansionsspielräume auf den internationalen Märkten zu nutzen. Die automobile Hochkonjunktur der kommenden Dekade schuf hierfür günstige Voraussetzungen.
1973
7. Februar
Mit Beteiligung der nigerianischen Regierung wird in Lagos die Volkswagen of Nigeria Ltd. gegründet, an der die Volkswagenwerk AG 40 Prozent der Anteile hält. Die Errichtung eines Produktionsstandortes in Westafrika erweitert die Fertigungskapazitäten auf dem afrikanischen Kontinent und zielt auf die Erschließung eines Exportmarktes für die Tochterunternehmen in Brasilien und Mexiko ab. Die Volkswagen of Nigeria nimmt am 21. März 1975 die Montage des VW 1300 auf. 1976 fertigt sie über 16.000 Fahrzeuge, darunter den Passat, den Brasilia und den Audi 100, und steigert ihren Marktanteil bei den Pkw auf 23,5 Prozent, während die Position auf dem Nutzfahrzeugmarkt mit einem Anteil von 16,8 Prozent stabilisiert werden kann. Im Dezember 1976 übernimmt die nigerianische Tochter vom bisherigen Generalimporteur die Einfuhr von Nutzfahrzeugen. Devisenmangel führt 1982 zu staatlichen Einfuhrbeschränkungen und Produktionsdrosselungen der importabhängigen Industrien. Erst 1985 kann die Volkswagen of Nigeria wieder kontinuierlich produzieren, nachdem sich die Materialversorgung durch ein bilaterales Handelsabkommen zwischen Nigeria und Brasilien verbessert hat. Bestandteil dieser Übereinkunft ist die Lieferung von Fahrzeugteilen durch Volkswagen do Brasil; im Gegenzug erhält Brasilien Erdöl aus Nigeria.
14. Mai
Der Passat geht als erstes Modell der neuen Volkswagen Generation im Werk Wolfsburg in die Serienproduktion. Vom 21. Mai bis zum 6. Juni in Zürich deutschen und internationalen Pressevertretern vorgestellt, zeichnen sich Limousine und Variant durch Frontantrieb, einen wassergekühlten Vierzylindermotor mit 55, 75 oder 85 PS Leistung, obenliegende Nockenwellen und eine Ganzstahl-Karosse aus. In seiner technischen Konzeption ist er eng an den Audi 80 angelehnt und wird nach dem Baukastenprinzip gefertigt, das durch die Verwendung standardisierter Bauteile für verschiedene Konzernmodelle erhebliche Rationalisierungspotenziale freisetzt. Der Passat tritt in der Mittelklasse die Nachfolge des VW 1600 an. Das als Zwei- und Viertürer lieferbare Modell kostet 8.555 DM ab Werk.
Jeans Bug
1. Juli
Hängebandmontage
200.000 K 70
Lernen bei Volkswagen
Volkswagen in Südafrika
„Nichts geht über die Verläßlichkeit.“
„Passat. Mit diesem Auto beginnt etwas Neues.“
Statistiken des Jahres
1974
4. Februar
Der Scirocco, ein von Giorgio Giugiaro in Form gebrachtes zweitüriges Sportcoupé, geht beim Karosseriebauer Karmann in Osnabrück in Serie. Auf dem technischen Konzept des Golf basierend, zeichnet sich das Sportcoupé durch sein markantes Design, innovative Technik und ein hohes Maß an Alltagstauglichkeit aus. Der Scirocco ist mit 50-, 75- und 85-PS-Motoren lieferbar. Dank seines niedrigen Eigengewichts von 750 oder 775 Kilogramm erreicht der Scirocco je nach Motorisierung eine Höchstgeschwindigkeit von 144, 164 und 175 Stundenkilometern; der DIN-Kraftstoffverbrauch des Modell mit 50-PS-Motor wird mit 8,0 Liter Normalbenzin angegeben. Die Preise beginnen bei 9.480 DM. Mit 504.153 verkauften Exemplaren der ersten Generation gelingt es dem Scirocco, ein neues Marktsegment für Volkswagen zu erschließen.
29. März
In Wolfsburg beginnt die Serienproduktion des Golf. Mit seiner gradlinigen und kompakten Form, die der Italiener Giorgio Giugiaro beisteuert, und den wassergekühlten Frontmotoren mit 50 und 70 PS Leistung gelingt ein konzeptioneller Neuanfang. Die Kompaktklasse ist 3.705 mm lang, 1.610 mm breit und 1.410 mm hoch. Seine Preise beginnen ab 7.995 DM. Der Golf, nach Meeresstrom und Sport benannt, hat für fünf Personen und unter der Heckklappe für das Gepäck Platz. Er ist ein Leichtgewicht von 750 Kilogramm und bis zu 160 Stundenkilometer schnell. In München vom 20. Mai bis zum 10. Juni 1974 den Medien präsentiert, wird der Golf als „Fortschrittswagen“ gerühmt, dessen Funktionalität und Fortschrittlichkeit zu Markenzeichen einer ganzen Fahrzeugklasse werden. 1976 um den sportlichen GTI und den sparsamen Diesel ergänzt, der erstmals das Marktsegment der kleinen Dieselfahrzeuge besetzt, entwickelt sich die Kompaktlimousine rasch zum Verkaufsschlager; am 27. Oktober 1976 rollt der einmillionste Golf vom Band. Volkswagen nimmt mit seinem Volumenfahrzeug auch wirtschaftlich wieder Fahrt auf.