Dabei konnte Volkswagen im Falle einer Kooperation von der größten Pkw-Absatzorganisation Spaniens profitieren, die mehr als 1 ·000 Vertragshändler umfasste. Für ein Engagement sprach auch der strategisch wichtige Zugriff auf einen Fertigungsstandort mit relativ niedrigen Lohnkosten, der auf längere Sicht als kostengünstiges Montagewerk für den Polo genutzt werden konnte. Denn gerade in dieser Fahrzeugklasse beeinträchtigten hohe Produktionskosten in Deutschland die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Modelle auf den europäischen Volumenmärkten. Dass die gut qualifizierte Belegschaft von Seat über eine 30-jährige Erfahrung im Automobilbau verfügte, war ein weiterer Aktivposten.
Der am 30. September 1982 geschlossene Kooperationsvertrag nutzte auch Audi, weil Seat im Rahmen seines Devisenkontingents die zollfreie Einfuhr von Audi Modellen ermöglichte. Im Gegenzug vergab Volkswagen auf Wunsch des spanischen Herstellers eine Lizenzproduktion für die Modellreihen Passat und Santana, die im Herbst 1983 im Werk Barcelona anlief. Im Frühjahr 1984 ging im Werk Pamplona der Polo an den Start, der in Spanien und auf ausgewählten europäischen Märkten abgesetzt wurde. Für beide Modelle lieferte Volkswagen Motoren, Getriebe sowie Achs- und Lenkungsteile. Seat fertigte die Bleche im eigenen Presswerk. Alle übrigen Teile kamen aus der lokalen Zulieferindustrie. Die Kooperation lohnte sich für beide Seiten. Beim spanischen Hersteller wuchsen Modellpalette, Absatz und Kapazitätsauslastung, sodass die spanische Regierung dem Volkswagen Konzern im Herbst 1984 die Übernahme von Seat antrug. Auch die Wolfsburger zogen eine insgesamt positive Bilanz. Durch den Vertrieb über die Seat Händler hatten sie ihren Zugang zum spanischen Markt und die dortige Präsenz der Marken Volkswagen und Audi erheblich verbessert. Zudem stellte die Fertigung im Werk Pamplona in Aussicht, den Polo kostengünstiger als in Wolfsburg zu bauen. Um dieses Standortpotenzial auszuschöpfen und die Marke Seat für den internationalen Wettbewerb zu wappnen, war nach Einschätzung von Volkswagen die finanzielle Konsolidierung des Unternehmens, eine Straffung der Produktpalette, die Modernisierung der Fertigungsanlagen und der Auf bau einer europäischen Vertriebsorganisation erforderlich. Die von Seat bereits unternommenen Anstrengungen auf diesem Gebiet stimmten optimistisch.
Mit dem Erwerb von zunächst 51 Prozent der Aktienanteile übernahm die Volkswagen Aktiengesellschaft am 18. Juni 1986 die industrielle Führung des staatlichen Automobilherstellers mit rund 23 600 Beschäftigten, die in den Werken Barcelona und Pamplona, im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Martorell oder in der Getriebefertigung in Prat de Llobregat arbeiteten. Seat wurde als eigenständige Marke in den Volkswagen Konzern integriert, der Ende 1986 seine Anteile auf 75 Prozent aufstockte.
Für den spanischen Automobilhersteller öffnete sich damit ein neues Kapitel in der Geschichte, die 36 Jahre zuvor unter dem Regime von General Franco als staatliches Industrialisierungs- und Motorisierungsprojekt begonnen hatte. In beiderlei Hinsicht glich Spanien einem Entwicklungsland, als am 8. Mai 1950 die Sociedad Española de Automóviles de Turismo S.A. (Seat) gegründet wurde. Die Institución Nacional Industria (INI) und ein Bankenkonsortium hielten 93 Prozent der Gesellschaftsanteile; sieben Prozent übernahm der italienische Automobilkonzern Fiat S.p.A., nachdem er mit der INI im Oktober 1948 einen Lizenzvertrag zur Fertigung von Fiat-Modellen in Spanien geschlossen hatte. Bis 1984 lieferte Fiat für alle fortan gebauten Fahrzeuge der Marke Seat die Modellvorlagen, die für den heimischen Markt mehr oder weniger modifiziert und dem Kundengeschmack angepasst wurden. Den Anfang machte der Seat 1400. Sein Produktionsanlauf am 5. Juni 1953 gab den stolzen Anlass zur offiziellen Eröffnung der in Barcelona errichteten Seat Fabrik, in der 1954 rund 1 000 Mitarbeiter 5 400 Wagen bauten.
Nach der schwierigen Startphase erfüllten sich die mit dem Auf bau einer nationalen Automobilindustrie verknüpften Erwartungen des Franco-Regimes. Seat gab sowohl der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes als auch der Breitenmotorisierung wichtige Impulse. Mit technischer und finanzieller Unterstützung des Unternehmens und angetrieben durch die spanischen Fabriken von Renault und Citroën entstand in wenigen Jahren eine Zulieferindustrie, die Seat bis 1957 unabhängig von ausländischen Herstellern machte. Am 27. Juni des Jahres rollte schließlich der Seat 600 vom Band, das erste spanische Volksautomobil mit einer vollwertigen Karosserie, das den bis dahin äußerst populären, von der Autonacional, S.A. gebauten Kleinstwagen Biscuter von den Straßen verdrängte. Mit seinen beiden Nachfolgern erreichte der Seat 600 bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1973 die Stückzahl von rund 800 000 verkauften Exemplaren.